Stein- oder Stinkbrand des Weizens
carie commune du blé (franz.), common bunt, stinking bunt, covered smut (engl.)
wissenschaftlicher Name: Tilletia caries (DC.) Tul. & C. Tul.
Synonym: Tilletia tritici (Bjerk.) G. Winter
Taxonomie: Fungi, Basidiomycota, Ustilaginomycotina, Exobasidiomycetes, Tilletiales, Tilletiaceae
Der Stein- oder Stinkbrand des Weizens (Tilletia caries) ist eine klassische, samenbürtige Getreidekrankheit. Neben Weizen befällt T. caries auch den Dinkel. Anstelle der Samen werden kugelige Brandbutten gebildet, die mit stinkenden Brandsporen gefüllt sind. Während der Stinkbrand im konventionellen Getreideanbau dank Beizung des Saatgutes mit chemsch-synthetischen Wirkstoffen kaum noch eine Rolle spielt, kann er im Bio-Landbau wirtschaftlich relevante Schäden verursachen. Stark befallenes Getreide ist ungeniessbar. An Tiere verfüttert verursacht es unter anderem Reizungen der Darmschleimhaut (Durchfall) oder Verwerfen bei trächtigen Tieren. Milch und Eier können den Fischgeruch annehmen.
Abb. 1. Der Stein- oder Stinkbrand (Tilletia caries) bildet anstelle der Samen kugelige Brandbutten, die mit Brandsporen gefüllt sind.
Brandpilze
Brandpilze sind nach den Rostpilzen die zweitwichtigsten Pflanzenparasiten in der Abteilung der Basidiomycota. Sie bilden in Blüten, Blütenständen, Blättern oder anderen Pflanzenteilen in grossen Mengen Brandsporen (Dauersporen). Die zwei Familien Ustilaginaceae (Flugbrand, Maisbeulenbrand etc.) und Tilletiaceae (Stein- oder Stinkbrand, Zwergbrand etc.) lassen sich aufgrund der Keimungsvorgänge nach der Kernverschmelzung (Karyogamie) unterscheiden:
- Ustilaginaceae: Bei der Keimung einer Brandsporen wird nach einer Meiose ein vierzelliges Promyzel (Phragmobasidie) gebildet. Anschliessend werden, ausgehend von den Zellen des Promyzels, zahlreiche Sprosszellen (Sporidien) abgeschnürt (bei einigen Arten, zum Beispiel U. tritici, bilden die Zellen des Promycels statt Sporidien habloide Hyphen). Zwei kompatible Sporidien verschmelzen (oder eine Sporidie verschmilzt mit einer Zelle des Promyzels) und wachsen zu einem dikaryotischen Myzel, welches die Infektion einleitet.
- Tilletiaceae: Brandsporen keimen nach einer Meiose mit je einem einzelligen Promyzel (Holobasidie), das am Scheitel meist acht haploide Sporidien abschnürt. Zwei kompatible Sporidien kopulieren und bilden Sekundärsporidien, welche die Infektion einleiten.
Weizen (Triticum spp.) wird weltweit hauptsächlich von sechs verschiedenen Brandpilzen befallen: Tilletia laevis (= T. foetida), T. caries, T. controversa, T. indica, Ustilago tritici und Urocystis agropyri:
T. laevis ist eng mit T. caries verwandt. Sowohl Krankheitssymptome als auch Brandsporen können nur von Spezialisten auseinander gehalten werden. T. laevis kommt in den wärmeren Regionen von Südosteuropa, T. caries in Nord- und Mitteleuropa (Obst und Paul 1993).
T. caries und T. controversa sind ebenfalls eng miteinander verwandt und sind morphologisch einander sehr ähnlich. Einige Merkmale können jedoch helfen, die beiden Arten oder Krankheitssymptome voneinander zu unterscheiden (siehe unten im Kapitel "Krankheitsbild").
T. indica (Karnal bunt) kommt natürlicherweise in Nordindien und Pakistan vor. In den 70-iger Jahren wurde dieser Brandpilz nach Mexiko verschleppt. T. indica ist ein Quarantäneorganismus.
Ustilago tritici, der Flugbrand des Weizens, bildet Brandbutten, die bereits zur Zeit der Blüte aufreissen und die braunen Brandsporen freigeben.
Urocystis agropyri ist ein Blattbrand.
Krankheitsbild
Junge, mit Steinbrand befallene Pflanzen zeigen helle Streifen oder unspezifische chlorotische Blattsprenkelungen. Erste typische Krankheitssymptome sind allerdings erst nach dem Ährenschieben sichtbar: Befallene Pflanzen haben oft etwas kürzere Halme, bleiben länger grün und sind stärker bestockt. Die Ähren kommen nicht zur Blüte und der Fruchtknoten ist grün statt weiss. Die Ährchen sind leicht gespreizt und haben blaugrün gefärbte Hüllspelzen. Anstelle der Weizenkörner werden hellbraune, kugelige Körner, die sogenannten Brandbutten, mit intakter Fruchtwand und Samenschale sichtbar. Sie sind gefüllt mit einer anfangs schmierig-braunen, später pulvrig-harten Masse aus Brandsporen (Abb. 1 und 2), die nach faulem Fisch stinkt. Meist sind alle Körner einer Ähre infiziert.
Mögliche Verwechslung: Der Stein- oder Stinkbrand kann leicht mit dem nahe verwandten Zwergbrand, auch Zwergsteinbrand genannt (Tilletia controversa), verwechselt werden. Mit Zwergbrand befallene Pflanzen sind allerdings deutlich verkürzt (30-50 % der normalen Pflanzenhöhe). Zwergbrand tritt in der Schweiz vor allem in Lagen über 600 m ü. M. auf (Häni et al. 2008), wo die Schneedecke länger liegen bleibt. Die netzartigen Leisten auf der Sporenoberfläche sind bei T. controversa höher (1.5-3 µm) als bei T. caries (0.5-1.5 µm) (Wilcoxon und Saari 1996).
Beschreibung des Krankheitserregers
Die Brandsporen sind dickwandig, kugelförmig und haben einen Durchmesser von 15-23 µm (Bockhus et al. 2010). Sie sind hellgelb bis grau oder rotbraun gefärbt. Die Sporenoberfläche ist mit netzartig angeordneten Leisten, die Vielecke bilden, verziert (Abb. 3). Neben normal aussehenden Sporen kommen häufig auch sterile Zellen vor. Diese sind ebenfalls kugelig, etwas kleiner und haben keine auffällige Oberflächenstruktur.
Keimung der Stinkbrandsporen: Zuerst erfolgt in den Sporen eine Karyogamie (Verschmelzung der beiden Zellkerne) und kurz danach eine Meiose. Anschliessend wird ein Promyzel gebildet an dessen Ende sich 8 bis 16 farblose, fadenförmige Primärsporidien entwickeln (Abb. 4). Zwischen je zwei kompatiblen Sporidien (Kreuzungstyp + und -) entsteht eine Kopulationsbrücke (H-Form). Vereinigte Primärsporidien (dikaryotische Phase) bilden dann Infektionshyphen.
Brandbutten enthalten Trimethylamin, eine leicht flüchtige Substanz mit einem intensiven fischartigen Geruch. Trimethylamin und andere chemische Verbindungen hemmen die Keimung der Brandsporen in den Brandbutten. Sobald die Sporen freigesetzt werden, reicht die Konzentration der hemmenden Substanzen nicht mehr aus, um die Sporenkeimung zu unterdrücken.
Abb. 3. Brandsporen des Stinkbrands (Tilletia caries)
Abb. 4. Brandsporen der Tilletia caries keimen mit einem Promyzel an dessen Ende sich Primärsporidien entwickeln.
Lebenszyklus
Während des Dreschens gelangen Brandsporen auf gesunde Körner oder direkt auf den Boden. An den Samen bleiben sie äusserlich haften, insbesondere am Bärtchen, und können dort in trockenem Zustand mehr als 20 Jahre überleben. Im Boden bleiben die Brandsporen nur etwa zwei Jahre lebensfähig (Wilcoxson und Saari 1996).
Nach der Aussaat beginnt gleichzeitig mit der Keimung des Saatkorns auch die Keimung der Brandsporen (sowohl an den Körnern anhaftende als auch Steinbrandsporen im Boden). Diese bilden ein Promyzel an dessen Ende 8-16 haploide Primärsporidien wachsen (Abb. 4). Je zwei kompatible Sporidien kopulieren paarweise und erzeugen dikaryotische Infektionshyphen. Diese infizieren die Koleoptile der auflaufenden Weizenpflanze (Keimlingsinfektion). Dort wächst der Pilz zwischen den Pflanzenzellen und erreicht etwa während des 5-Blatt Stadiums das Meristem des Vegetationskegels (Wilcoxson und Saari 1996). Während des Schossens wandert der Brandpilz mit dem Vegetationskegel nach oben und besiedelt gleichzeitig die Samenanlagen. Die Wand des Fruchtknotens wird modifiziert und wird zur Hülle der Brandbutte. Im Endosperm bildet der Pilz Brandsporen. Beim Dreschen werden die Sporen freigesetzt und kontaminieren die Körner und den Boden.
Epidemiologie
Optimale Infektionsbedingungen liegen bei 5-10 °C vor (Wilcoxson und Saari 1996). Bei höheren Temperaturen läuft das Getreide zu schnell auf, so dass es nur wenigen Brandsporen gelingt in dieser kurzen Zeit zu keimen und die Keimlinge zu infizieren. Dies gilt nicht für bodenbürtige Brandsporen: Diese können zum Zeitpunkt der Aussaat bereits gekeimt haben und haben folglich einen zeitlichen Vorsprung im Vergleich zu den samenbürtigen Sporen.
Die Resistenz einiger Sorten ist von der Temperatur abhängig, die während der frühen Pflanzenentwicklung vorherrscht: bei tiefen Temperaturen sind einige resistente Sorten anfälliger. Im Herbst gesäter Sommerweizen ist anfällig, im Frühjahr gesät ist er resistent.
Wirtsspektrum
Der Erreger des Stein- oder Stinkbrandes befällt Dinkel (Triticum aestivum ssp. spelta) und Winterweizen (T. aestivum ssp. aestivum). Im Frühling gesäter Sommerweizen wird selten befallen (Häni et al. 2008). Stinkbrand tritt aber auch an Hartweizen, Roggen, Triticale, Gerste und zahlreichen Wildgräsern auf.
Innerhalb T. caries konnten zahlreiche Rassen unterschieden werden (Hoffmann und Metzger 1976; Matanguihan et al. 2011). Diese Rassen wurden aufgrund ihrer Virulenz/Avirulenz gegenüber definierten Resistenzgenen in Wirtspflanzen unterschieden. Es sind 15 Resistenzgene bekannt: Bt-1 bis Bt-15 . Diese Gene kommen allein oder in Kombination vor. Die Resistenz gegen T. caries und T. controversa wird bei Weizen durch die gleichen Gene reguliert (Hoffmann und Metzger 1976).
Vorbeugende Massnahmen und Bekämpfung
- Steinbrand tolerante oder resistente Sorten verwenden: Levis, Titlis oder Arina (Bänziger et al. 2003)
- Die Verwendung von anerkanntem Z-Saatgut. Bei der Produktion von zertifiziertem Saatgut dürfen in der Feldbesichtigung maximal 5 mit Stinkbrand befallene Ähren pro 100 m2 vorkommen (in der Produktion von Vermehrungssaatgut 2 Ähren pro 100 m2), befallene Ähren oder Rispen dürfen dabei nicht vor der Feldbesichtigung entfernt werden (Verordnung des WBF über Vermehrungsmaterial von Ackerpflanzen-, Futterpflanzen- und Gemüsearten, Anhang 3).
- Falls Saatgut aus eigenem Nachbau verwendet wird: Saatgut nur aus befallsfreien, kontrollierten Beständen verwenden und das Saatgut auf Brandsporen untersuchen lassen.
- Gereinigtes Saatgut mit hoher Triebkraft garantiert ein rasches Auflaufen und kann dem Steinbrand davonwachsen.
- Fruchtfolge: Anbau von Weizen und Dinkel nicht zu eng planen; Steinbrandsporen können im Boden mindestens zwei Jahre überleben.
- Saatgut flach ablegen.
- Winterweizen früh säen, Sommerweizen spät (schnellere Pflanzenentwicklung)
- Pflanzenstärkungsmittel auf Senfmehlbasis
- Wird zum Dreschen ein betriebsfremder Mähdrescher verwendet, muss darauf geachtet werden, dass dieser vorher keine brandverseuchten Felder gedroschen hat.
- Bei mehr als 10 Brandsporen pro Korn (für Deutschland gilt 20 Sporen pro Samen) wird eine vorbeugende Saatgutbehandlung empfohlen (Agridea, Datenblätter Ackerbau). Im Biolandbau steht das Präparat Cerall® (Wirkstoff: Pseudomonas chlororaphis) als Beizmittel zur Verfügung. Auch eine Warmwasserbeizung (2 Stunden 45°C) kommt in Frage (siehe auch: Thermoseed, thermische Beizanlage der Fenaco).
- Beizung des Saatgutes mit chemsch-synthetischen Wirkstoffen: Empfohlene und zugelassene Pflanzenschutzmittel gegen den Stein- oder Stinkbrand finden sie für die Schweiz im BLW Pflanzenschutzmittelverzeichnis (Bundesamt für Landwirtschaft); für Deutschland in der online Datenbank des BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) und für Österreich im Pflanzenschutzmittelregister des BAES (Bundesamt für Ernährungssicherheit).
Literatur
Agridea, 2021. Datenblätter Ackerbau. AGRIDEA, CH-8315 Lindau (Bekämpfungsschwellen)
Bänziger I, Forrer HR, Schachermayr G, Gindrat D, Frei P, 2003. Stinkbrandanfälligkeit in- und ausländischer Weizensorten. Agrarforschung 10(8): 328-333.
Bockus WW, Bowden RL, Hunger RM, Morrill WL, Murray TD, Smiley RW, 2010. Compendium of wheat Diseases and Pests. Third edition. The American Phytopathological Society, St. Paul Minnesota: 171 p.
Häni FJ, Popow G, Reinhard H, Schwarz A, Voegeli U, 2008. Pflanzenschutz im nachhaltigen Ackerbau. Edition LMZ, 7. Auflage. 466 S.
Hoffmann JA, Metzger RJ, 1976. Current status of virulence genes and pathogenic races of the wheat bunt fungi in the northwestern USA. Phytopathology 66:657-660.
Matanguihan JB, Murphy KM, Jones SS, 2011. Control of Common Bunt in organic Wheat. Plant Disease Vol. 95 No 2: 92-103.
Obst A, Paul V, 1993. Krankheiten und Schädlinge des Getreides. Verlag Th. Mann: 184 S.
Wilcoxson RD, Saari EE, eds. 1996. Bunt and Smut Diseases of Wheat: Concepts and Methods of Disease Management. Mexico, D.F.: CIMMYT.